Auch im Stadtzentrum von Tunis kam es in der vergangenen Nacht um am heutigen Tage zum ersten Mal seit Beginn der Proteste Mitte Dezember vergangenen Jahres zu Ausschreitungen und Kämpfen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Mindestens ein Mann wurde getötet, fünf weitere angeschossen. Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre, die jedoch nicht eingehalten wurde.
Die landesweiten Proteste in Tunesien haben nun auch das Zentrum der Hauptstadt Tunis erreicht. Nachdem es gestern bereits im Arbeitervorort Ettadamen zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten kam, weiteten sich die Proteste am Abend und in der Nacht auch in andere Vororte und nach Lafayette, dem Einkaufszentrum der Stadt, aus. Bei den Protesten in Tunis wurde gestern Nacht mindestens ein Mann getötet und fünf Personen angeschossen.
Die Regierung hat gestern auf unbestimmte Zeit eine Ausgangssperre verhängt, die jeweils um 20 Uhr Ortszeit einsetzt. Doch auch während der gestrigen Nacht kam es in einigen Vororten Tunis zu kämpfen zwischen Demonstranten und Polizisten. Auch das Militär ist in der Hauptstadt mittlerweile stark präsent und versucht, das Zentrum sowie wichtige Regierungsgebäude abzuriegeln.
Alle Geschäfte in der sonst so belebten Innenstadt ließen heute ihre Rollläden unten und das Militär baute Barrikaden aus Stacheldraht auf und postierte sich mit gepanzerten Fahrzeugen und schwerer Bewaffnung an strategisch wichtigen Punkten. Alle Sportereignisse wurden für die kommende Woche abgesagt.
Für Präsident Zine al-Abidine Ben Ali ist es die schwerste Krise seit seinem Amtsantritt 1987. Die Demonstranten werfen ihm und seiner Regierung einen repressiven Regierungsstil und Korruption vor. Sie fordern nun in lauten Sprechchören ihre Freiheit ein. Gemeint sind Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und alle anderen demokratischen Freiheitsrechte, die die Bürger in Tunesien nur in eingeschränktem Maße genießen.
Grund für die Schwere der Proteste ist auch die Tatsache, dass es den Demonstranten nicht nur dieses eine Thema geht. Vielmehr geht es auch noch um die hohe Arbeitslosigkeit und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit der Jugend, die soziale Ungleichheit im Land und die enorm gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel.
Auch in einem Dutzend anderer Städte in Tunesien gingen die Proteste heute weiter. In Sidi Bouzid, einem Zentrum der Bewegung, gingen heute zwischen 7.000 bis 10.000 Menschen auf die Straße. Das Auswärtige Amt rät mittlerweile von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Tunesien ab, bis sich die Lage dort wieder stabilisiert hat. Touristen und Ausländer seien zwar nicht Ziel der Ausschreitungen, sollten größere Menschenansammlungen jedoch dringend meiden, um eine Gefährdung durch zufällige Anwesenheit zu vermeiden, so das Auswärtige Amt.