Einheiten aus dem Nordsudan sind am Wochenende in die umstrittene Grenzregion Abyei einmarschiert. Die Kontrolle über die Region ist der größte Streitapfel zwischen dem Nord- und dem semiautonomen Südsudan, der sich voraussichtlich im Juli unabhängig erklären wird. Die Besetzung der Abyei-Region könnte die Situation eskalieren und zu einem erneuten großflächigen Ausbruch des Bürgerkriegs führen.
Armee-Einheiten aus dem Nordsudan haben am Wochenende die an der Grenze zum Südsudan liegende, von beiden Seiten beanspruchte Stadt Abyei und die gleichnamige, umliegende Region unter ihre Kontrolle gebracht. Bereits in der Nacht auf Samstag ließ die Regierung in Khartum die Stadt aus der Luft bombardieren. Anschließend rollten Panzer aus dem Norden, unterstützt von schwerer Artillerie und zahlreichen Soldaten in Abyei ein. Das Anrücken der Panzer verursachte einen großen Flüchtlingsstrom, der sich aus der ca. 20.000 Einwohner zählenden Stadt in die dornige Savanne ergoß.
Aussagen der Regierung in Khartum zufolge, ist die Besetzung der Stadt als Reaktion auf die wiederholten Angriffe südsudanesischer Soldaten auf solche des Nordens zu verstehen, bei denen mehrere dutzend Soldaten getötet wurden. Der UN-Sicherheitsrat und die amerikanische sowie britische Regierung reagierten nahezu identisch auf die jetzige Aktion des Nordens. Die Vereinten Nationen verurteilen auch die vorangegangenen Kampfhandlungen zwischen den Soldaten beider Seiten, halten aber die Reaktion des Nordsudan für „unangemessen und unverantwortlich“ und fordern einen sofortigen Rückzug der Truppen aus der Region.
Die UN-Friedenstruppen in der Region und weitere Beobachter fürchten, dass die Invasion der Abyei-Region sehr leicht zu einem Flächenbrand führen kann, der die Errungenschaften des Friedensabkommens von 2005 wieder zunichte machen und das Land erneut in einen Bürgerkrieg stürzen könnte. Die ölreiche Grenzregion ist der größte Streitpunkt in Hinsicht auf die bevorstehende Abspaltung des Südsudan, die für Juli erwartet wird.
Der Weg für eine Sezession des Südsudan von den nördlichen Landesteilen wurde durch das Friedensabkommen 2005 und ein Referendum über die Unabhängigkeit, in welchem die Südsudanesen im Januar zu 99 Prozent für die Abspaltung stimmten, geebnet. Vorangegangen war ein jahrzehntelang währender Bürgerkrieg, der über zwei Millionen Menschen das Leben kostete.
Die Abyei-Region liegt genau an dem bislang noch inoffiziellen Grenzverlauf zwischen den beiden Landesteilen. Über die Zugehörigkeit der Region sollten die Bewohner zum Zeitpunkt des Unabhängigkeitsreferendums abstimmen, so sah es das Friedensabkommen vor. Die Abstimmung scheiterte jedoch daran, dass sich die Regierungen des Nordens und des Südens nicht darüber einigen konnten, wer Wahlberechtigt ist.
In der Abyei-Region leben eine Vielzahl verschiedener Ethnien, in ihren Konflikten über Land von den sudanesischen Regierungen instrumentalisiert werden. Der Norden unterstützt den nomadischen Stamm der Misseriya, die ihr Vieh in der Trockenzeit nach Süden durch die Abyei-Region treiben. Der Süden wiederum steht hinter den Dinka Ngok, die sesshaft sind, Felderdwirtschaft betreiben und im Konflikt mit den nomadischen Viehhirten stehen. Der Norden wollte die Misseriya für die Abstimmung zulassen, der Süden nicht.