Libyen reiht sich seit Dienstag in die Länder der Protestbewegungen Nordafrikas ein. In der Hauptstadt Tripolis sowie in der zweitgrößten Stadt des Landes, Bengasi, gingen mehrere tausend Menschen auf die Straße, um den Rücktritt des Regimes um Muammar al Gaddafi zu fordern. Mehrere dutzend Demonstranten wurden dabei verletzt. Trotz der reichen Ölvorkommen Libyens sind die sozialen Bedingungen für die Bevölkerung in vielen Regionen katastrophal.
Nach Ägypten, Tunesien und Algerien hat die Protestwelle im Norden Afrikas nun auch den Staat Libyen erreicht. Auch die Regierung um Revolutionsführer Muammar al Gaddafi wird nun öffentlich von der Bevölkerung zum Rücktritt aufgefordert. Obwohl Gaddafi seit über 30 Jahren nicht mehr der Staatschef Libyen ist, hält er immer noch die Stränge der Macht in seinen Händen. 1969 putschte sich der heute 68-jährige in Libyen an die Macht und bekleidete danach zehn Jahre lang das Amt des Präsidenten.
In Libyens Hauptstadt Tripolis sollen am Dienstag mehrere hundert Regimegegner auf die Straße gegangen sein, während in der Stadt Bengasi von über 2.000 Demonstranten berichtet wurde. Im Internet kursieren derzeit mehrere private Videos, die Menschen auf den Straßen der beiden Städte zeigen, die lautstark den Abgang Gaddafis und seiner Anhänger fordern. Bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten sind vergangene Nacht rund 40 Menschen verletzt worden. Die Demonstranten hatten offenbar mit Steinen geworfen, worauf die Sicherheitskräfte mit dem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen reagierte. Weitere Großkundgebungen in mehreren Städten Libyens sollen am Donnerstag stattfinden. Die Aufforderung der Bevölkerung zur Teilnahme erfolgt auch hier größten Teils über soziale Netzwerke im Internet.
Neben der Tatsache, dass die erfolgreichen Protestbewegungen von Tunesien und Ägypten zu Vorbildern für die Menschen in vielen weiteren Ländern der arabischen Welt geworden sind, soll der Auslöser der Proteste in Libyen ganz speziell die Verhaftung eines regimekritischen Anwalts gewesen sein. Die Demonstranten fordern einen Machtwechsel in ihrem Land, das trotz seiner Ölvorkommen wenig Perspektiven für die Menschen zu bieten hat. Besonders unter den jungen Libyern ist die Arbeitslosenquote, die auf bis zu 50 % geschätzt wird, extrem hoch. Im Vergleich zu den Nachbarländern Ägypten und Tunesien ist das Bildungsniveau in Libyen desaströs, die Wohnverhältnisse schlecht und die Lebensunterhaltskosten hoch.
Ein wesentlicher Grund für diese Verhältnisse im eigentlich so reichen Libyen ist die ölzentrierte Wirtschaft. Sämtliche Aktivitäten, die außerhalb dieses Sektors stattfinden, werden in Libyen marginalisiert. Vom Ölreichtum Libyens profitieren nur wenige. Und wer als Normalbürger im Ölgeschäft keine Anstellung findet, hat schlechte Karten. Mit diversen Projekten, die Gaddafi in den vergangenen fünf Jahren implementierte, um die Wirtschaft des Landes zu verifizieren, sollten Arbeitsplätze für die Bevölkerung geschaffen werden. Der Außerölsektor in Libyen steigt seither nachweislich an, nur profitiert davon nicht die Bevölkerung Libyens, sondern ausländische Firmen, die Gaddafi mit seinen Großprojekten beauftragt hat.