Amnesty International hat einen Bericht vorgelegt, demzufolge bewaffnete Milizionäre für eine zunehmende Zahl von Menschenrechtsverletzungen in Libyen verantwortlich sind. Die bewaffneten Gruppen haben zwar ihre Loyalität gegenüber der Übergangsregierung bekundet, nutzen aber ihre Waffengewalt, um gegen vermeintliche Gaddafi-Anhänger vorzugehen. Dabei kommt es Amnesty zufolge auch zur Folterung von Gefangenen, an der nachweislich bereits zwölf Menschen gestorben sind.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in einem heute vorgestellten Bericht davor gewarnt, dass die zahlreichen Milizen, die sich während der Revolution gegen den gestürzten Diktator Muammar al Gaddafi gebildet haben, zunehmend „außer Kontrolle“ geraten und ihrerseits etliche Menschenrechtsverletzungen begehen. Amnesty International hat dutzende Fälle zusammengetragen, bei denen Milizionäre Kriegsverbrechen begehen, Gefangene Foltern oder ganze Dorfgemeinschaften zur Flucht aus ihren Häusern zwingen.
Die bewaffneten Gruppen hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass Gaddafi nach 42-jähriger Herrschaft gestürzt werden konnte. Ein Jahr nach der Revolution haben sie sich zwar offiziell zum Nationalen Übergangsrat bekannt, scheuen in der Praxis jedoch davor zurück ihre Macht wieder abzugeben und nutzen stattdessen ihren militärischen Einfluss, um sich die Macht zu sichern, die ihnen ihrer Meinung nach zusteht.
Da die Übergangsregierung keine gewählte Institution darstellt und noch darum bemüht ist, nationale Polizei- und Armeestrukturen aufzubauen, ist ihr Einfluss auf die Milizen beschränkt. Das hat zur Folge, dass viele bewaffnete Gruppen unter dem Eindruck der Straflosigkeit zunehmend Menschenrechtsverbrechen begehen.
Der von Amnesty International vorgelegte Bericht dokumentiert seit vergangenem September mindestens zwölf Fälle, bei denen Gefangene aufgrund von Folter ums Leben gekommen sind. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge befinden sich derzeit etwa 8.000 Unterstützer des gestürzten Gaddafi in Gefangenschaft von Milizen. Einige Gefangene berichten davon, dass sie gezwungen waren, stundenlang in Stresspositionen verweilen mussten, mit Kabeln, Plastikschleuchen und Metallketten geschlagen wurden oder Elektroschocks verabreicht bekamen.
Auch bei den zwölf von Amnesty untersuchten Leichen waren klare Spuren der Folter sichtbar, bei einigen waren sogar die Fingernägel entfernt worden. Besonders betroffen von den Übergriffen der Milizionäre sind dunkelhäutige Libyer und Immigranten aus dem subsaharischen Afrika, denen unterstellt wird, während der Revolution als Söldner auf der Seite Gaddafis gekämpft zu haben.
Amnesty International warnt davor, dass, sollte es zu keiner Untersuchung der Vorfälle durch die Übergangsregierung kommen, sich das Klima der Straflosigkeit verstärken könnte und es zu noch mehr Menschenrechtsverletzungen kommen wird. Mustafa Abdel Jalil, der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, erklärte, dass an einem Programm zur Reintegration der bewaffneten Kämpfer gearbeitet werde, die Umsetzung jedoch länger als geplant brauche.