Ägypten hat mehrheitlich für eine Änderung der Verfassung gestimmt. Mit 40 % war die Beteiligung der Bevölkerung an der Abstimmung so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dennoch ist das Ergebnis umstritten, denn die Wahlen für das Parlament sowie das Amt des künftigen Präsidenten Ägyptens werden bereits in wenigen Monaten stattfinden. Zu kurzfristig für viele Parteien, die sich nach der Ära Mubarak erst organisieren müssen.
Am vergangenen Samstag waren rund 45 Millionen Ägypter dazu aufgerufen worden, über eine Änderung der nationalen Verfassung abzustimmen. Die Wahlbeteiligung von 40 % wird als durchweg positiv gewertet. Es handelt sich immerhin um die höchste Wahlbeteiligung in Ägypten seit mehreren Jahrzehnten. Kein Wunder, denn es sind die ersten freien Wahlen die viele Ägypter überhaupt erleben. Eine Wahl mit unbestimmtem Ausgang, diese Aussicht trieb vor allem viele Menschen in der Hauptstadt Kairo schon am frühen Samstagmorgen zu den Wahllokalen. Diese wurden nicht von Militär und Polizisten beaufsichtigt, sondern von freiwilligen Helfern aus der Bevölkerung. Eine weitere Neuerung, die bis vor wenigen Wochen in Ägypten undenkbar gewesen ist.
Das Ergebnis des Abstimmung, das am Sonntagabend offiziell bekanntgegeben wurde, war deutlich. Über 77 % der Wähler stimmten für eine Verfassungsänderung. Es ist ein Ergebnis, das sich viele Menschen, die noch vor wenigen Wochen in den Straßen des Landes für einen Machtwechsel demonstrierten, anders gewünscht hätten. Die Veränderungen, die bisher vorgesehen sind, reichen vielen Ägyptern nicht weit genug. Vor allem die kurze Zeitspanne bis zu den nächsten Wahlen steht in der Kritik. Die Parteien in Ägypten, die sich unter dem Regime Mubaraks kaum entwickeln konnten, bräuchten mehr Zeit, um sich neu zu strukturieren und politische Programme auszuarbeiten, so die Kritiker.
Auch die geplanten Verfassungsänderungen, die von einem neutralen Komitee ausgearbeitet wurden, reichen vielen Ägyptern nicht weit genug. Sie fordern eine komplett neue Verfassung für das neue Ägypten. Die Anpassung weniger Paragraphen scheint dafür längst nicht ausreichend. Sie stammt aus dem Jahr 1971, einer Zeit, die mit dem neuen und demokratischen Ägypten nicht mehr vereinbar ist.
Aber es gab auch Freudenstimmen, die das Ergebnis der Volksabstimmung begrüßten. Dazu gehören vor allem Organisationen wie die Muslimbrüder, deren Organe bereits zum jetzigen Zeitpunkt funktions- und handlungsfähig sind. Auch Mitglieder des alten Regimes von Hosni Mubarak rechnen sich gute Chancen bei den kommenden Wahlen aus, solange die oppositionellen Parteien noch damit beschäftigt sind, sich zu organisieren.
Die Volksabstimmung über die Verfassungsänderung in Ägypten behält damit einen fahlen Beigeschmack und löst bei manchen Beobachtern der Entwicklungen im Land am Nil Besorgnis aus. Welche Auswirkungen das Ergebnis der ersten freien Volksabstimmung in Ägypten seit Jahrzehnten langfristig haben wird, wird sich spätestens bei den Wahlen um Präsidentenamt und Parlament in wenigen Monaten zeigen.